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Europarat: Rede zur Lage in der Türkei

Seit zwei Jahren bin ich Mitglied in diesem ehrenwerten Haus. Aus meiner anfänglichen Begeisterung mit der ich dieses Amt antrat wurde aber inzwischen Ernüchterung.

Es tut mir Leid, liebe Kolleginnen und Kollegen aber ich habe kein Verständnis dafür, dass wir diese Woche weder Resolution, weder Bericht und auch keine Empfehlung zur aktuellen kritischen Lage in der Türkei verabschieden.

Anstatt die Probleme beim Schopf zu nehmen und uns konsequent für den Erhalt des Rechtsstaats in der Türkei einzusetzen mit den wenigen Mitteln die uns zur Verfügung stehen, halten wir jetzt bloß eine Aktualitätsdebatte ab. Eine Debatte der wohl kaum mehr Bedeutung erfährt als ein Rundtischgespräch spät abends im Fernsehen.

Wir machen uns damit selbst klein.

Wir machen aus diesem Haus ein Debattierclub, ein Debattierclub der Entscheidungen scheut.

Wer soll uns denn fortan ernst nehmen, wenn wir selbst, die Verfechter des Rechtsstaats, der Demokratie und der Menschenrechte, bei so einschneidenden Verletzungen wie sie zurzeit in der Türkei geschehen, kneifen?

Lassen Sie mich eins klar stellen:

Der Putschversuch durch das türkische Militär muss aufs schärfste verurteilt werden auch und besonders von diesem Parlament! Der türkischen Bevölkerung gebührt unsere tiefste Anerkennung unser Respekt und unsere Dankbarkeit, denn es war sie, es waren die Menschen die unter Lebensgefahr auf die Straße gingen, die den Militärputsch vereitelten. Viele haben diesen Einsatz mit ihrem Leben bezahlt. Ihnen gilt unsere besondere Bewunderung und wir trauern mit ihren Verbliebenen. Die Türkei kann stolz auf sich sein!

Doch so heftig wir den Militärputsch auch verurteilen müssen. So müssen wir mindestens mit derselben Überzeugung auch die Geschehnisse nach dem Putschversuch verurteilen.

Die türkische Politik denkt laut über die Wiedereinführung der Todesstrafe nach. Mehr als 100.000 Lehrer, Professoren, Richter, Polizisten und andere Staatsdiener wurden in den Tagen nach dem Putsch suspendiert oder verhaftet. 125 freie Journalisten wurden inhaftiert. Das Ganze nicht auf Basis von Indizien, wie es sich in einem Rechtsstaat gehört, sondern auf Basis von Listen! Listen die aufgestellt wurden mit Menschen die unter bloßem Verdacht stehen in irgendeiner Form zur Gülen-Gruppe zu gehören.

Was passiert mit all diesen Menschen?

Es wundert mich sehr, Herr Präsident, dass Ihnen bei ihrer Einführungsrede an Herrn Cavusoglu, gestern kein einziges Wort davon über die Lippen gegangen ist.

Schon vor den Juli-Ereignissen haben wir hier im Haus den Umgang mit der oppositionellen HDP-Partei kritisiert. Inzwischen wurden viele Abgeordnete und Bürgermeister dieser Partei mundtot gemacht, eingelocht oder abgesetzt!

Uns Außenstehenden drängt sich immer mehr der Verdacht auf, dass sich die Türkei weg von einer Demokratie und hin zum Absolutismus bewegt.

Und wir? Wir die parlamentarische Versammlung des Europarats, wir die Verfechter der Demokratie wir behandeln dies unter „current affairs“ also gewöhnliche, gängige Angelegenheiten? Sind denn diese Geschehnisse bloß noch eine Banalität für den Europarat?

Es wäre dringend, dass wir uns mit unseren Kollegen aus der Türkei zusammensetzen und Tacheles reden damit die Türkei eine Demokratie, ein Rechtsstaat bleibt!

Straßburg 13.10.2016

 

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